Rezension: Crazy Rich Asians

Von Paul Engelhard

Zwei Szenen aus den neunziger Jahren. In beiden kommt eine distinguierte, hochgestylte Asiatin mittleren Alters vor – Designer-Tailleur, diamantbesetzte Schweizer Armbanduhr etc. – eine spielt in Paris, die andere in London. Die eine steht vor der Filiale eines der großen Pariser Modehäuser, die andere, mit ihrem Kind und ihrer Schwägerin, in einem altehrwürdigen Privathotel. Der einen wird brüsk gesagt, noch bevor sie den Laden betreten hat, dass man nichts in ihrer Größe habe, der anderen, ebenso barsch und von oben herab, die Reservierung für die Suite sei nicht angekommen, es sei kein Zimmer frei, vielleicht finde sie etwas in Chinatown.

Realität vs. Film

Eine Szene ist meiner Mutter passiert. Mit der anderen beginnt John Chus Film „Crazy Rich Asians“. Und hier kommt der Unterschied zwischen relativ wohlhabend und crazy rich: Während meine Mutter diese Demütigung hinnehmen musste, braucht es bei Eleanor Young, der Matriarchin des milliardenschweren Young-Immobilienclans aus Singapur, nur einen Anruf, wonach den vollkommen geplätteten Concierges des Hotels verkündet wird, dass das Haus jetzt ihrem Mann gehört. Ihr Blick auf jene, die eben noch meinten, die Schlitzäugige da könne man ja so behandeln, sagt unerbittlich und unmissverständlich, es ist noch niemand so gefeuert gewesen, wie ihr gleich gefeuert sein werdet.

Diese Szene ist ein genialer Kunstgriff: Es ist nun einmal so, dass im Genre der romantic comedy, zu dem „Crazy Rich Asians“ mit selbstbewusster Selbstverständlichkeit gehört, „die Reichen“ meistens keine großen Sympathieträger sind – man denke nur an „Pretty Woman“ oder „Die Waffen der Frauen“. Doch hier nutzt Eleanor ihr Geld nicht, um frivol oder gar zynisch Macht zu demonstrieren – im Gegensatz etwa zu einer sehr ähnlichen Hotelszene aus „Batman Begins“ – sondern um eine himmelschreiende, rassistische Ungerechtigkeit von sich und ihrer Familie abzuwenden. Somit wird sie mit einem Schlag als irrwitzig reich und enorm entschlossen etabliert, wie auch als rechtschaffen und auf ihre Weise sympathisch: Jeder Mensch, dem Ausgrenzung und Unrecht widerfahren ist, wünscht sich, er könnte den Spieß umdrehen, es den Selbstgerechten und Intoleranten einmal so richtig zeigen, und genau dies tut Eleanor, womit sie den Respekt des Publikums gewinnt. Dies ist insofern wichtig, als dass der Film schlicht nicht funktionieren könnte, wäre sie nur ein archetypisches Schwiegermonster: Der Zuschauer identifiziert sich mit ihr, versteht ihre Motive, die Gedanken hinter ihren Handlungen. Filme sind zunächst Fantasien, eben auch Machtfantasien, und Eleanor ist ein perfekter Avatar für die Machtfantasien all jener, die ohnmächtig Erniedrigung hinnehmen mussten. Nicht umsonst wird sie von dem mit Sicherheit namhaftesten Star des panasiatischen Ensembles gespielt, nämlich der legendären Michelle Yeoh.

Mehr als eine romantische Komödie

Eine weitere Anekdote: Als mein Vater Kulturattaché an der deutschen Botschaft in Seoul war, sprach er mit einem Psychologieprofessor der dortigen Korea-Universität. Dieser sagte ihm, dass seine Auslandssemester im Westen kaum dazu beigetragen hätten, die psychologischen Probleme von Koreanern zu analysieren oder zu therapieren, denn, so seine Worte: „Wissen Sie, im Westen sind die meisten Neurosen Sexualneurosen. Aber bei uns in Asien ist das anders: Der Ursprung unserer Neurosen ist fast immer die Familie.“ Was das mit dem Film zu tun hat? Nun, seine Tagline ist „the only thing crazier than love is family“, und das trifft diegetisch voll ins Schwarze. In „Crazy Rich Asians“ geht es nämlich weniger um die Beziehung eines jungen Liebespaares zueinander, sondern um den Konflikt zwischen der jungen Frau und der Familie ihres Freundes, insbesondere seiner Mutter – ebenjener Eleanor Young, die der Zuschauer eingangs gelernt hat, zu verstehen und zu respektieren.

 Zur Handlung

Die Handlung des Films ist schnell erzählt: Eine junge US-chinesische BWL-Professorin an der NYU, Rachel Chu (gespielt von Constance Wu aus „Fresh off the Boat“) fährt mit ihrem Freund Nick Young (Henry Golding) zur Hochzeit seines besten Freundes in seine Heimatstadt Singapur, da er wünscht, dass sie endlich seine Familie kennenlernt. Anscheinend ist sie in über einem Jahr Beziehung nie auf die Idee gekommen, seinen Namen zu googlen, denn sonst hätte sie gewusst, dass ihr Freund, der zwar blendend aussieht, aber kein eigenes Netflix-Konto hat und in einem miefigen Jugendzentrum Basketball spielt, der reichste und begehrteste Junggeselle des ganzen asiatischen Riesenkontinents ist. Erst am Flughafen, wo sie es zunächst für absurd hält, dass sie 1. Klasse fliegen werden, dämmert ihr, dass die luxuriöse Privatkabine im A380 nicht das bloße Resultat von Vielfliegermeilen sein kann. Zufällig werden sie beide kurz vorher bei einem Date von einer chinesischen Influencerin, die gerade in New York weilt, erspäht und fotografiert und auf Instagram gepostet, woraufhin sich die Nachricht von der neuen Freundin des de facto Kronprinzen von Singapur wie ein Lauffeuer in ganz Asien verbreitet: Noch bevor sie landen, ist ihre Beziehung zu Nick DAS Thema in der High Society der Metropole – und natürlich das Ziel von Neid und Missgunst seitens der jungen Society-Ladies, die alle die Hoffnung hatten, selbst eines Tages Mrs. Young zu sein.

Selbes Genre – eine ganz andere Welt

Da ich nicht zuviel vorwegnehmen will, skizziere ich nur kurz, was dann kommt: opulente Parties, fiese Intrigen, Tränen und Selbstreflexion, Herzschmerz, Konflikte ohne Ende – aber eben auch einige enorm witzige Szenen und eine Hochzeit, die fast alles in den Schatten stellt, was man bis jetzt auf der Leinwand gesehen hat. Der Film bedient sich der klassischen Tropen der romantischen Komödie (vor allem „Außenseiter trifft Eltern des Partners“), wertet sie aber durch das ungewohnte Setting auf: Nora Ephrons Genreklassiker oder auch „Pretty Woman“ schwingen stets mit, und es gibt auch einige Parallelen zu „Meine Braut, ihr Vater und ich“ – nur, dass alle Handelnden Figuren nun einmal Asiaten sind. Ein Vergleich mit „Rat mal, wer zum Essen kommt“ mag ein wenig zu weit gegriffen sein, aber er hat sich mir beim Zuschauen dennoch immer wieder aufgedrängt.
Es ist doch interessant, dass das bloße Umpflanzen von bekannten Handlungen und Tropen in ein anderes Umfeld den gesamten Kontext einer Erzählung subvertieren kann.

Der Mann als bloßes Objekt

Dies gilt übrigens nicht nur für den ethnisch-kulturellen Aspekt des Films, da Chu auch sehr gekonnt mit bekannten Genderrollen des Genres spielt. Herkömmlich war es ja so, dass die Frau in solchen Filmen den „Preis“ darstellte, den es zu erringen galt: Die Männer handelten, und am Ende „gewann“ derjenige, der sich als besser, einfühlsamer, ehrlicher herausstellte, das Objekt, d.h. die Frau – ohne dass jene etwas dazu hätte sagen können. Hier hingegen ist es umgekehrt – es gab einige Stimmen, die Henry Goldings Darstellung von Nick Young als blass kritisierten, aber ich vermute, dass dies gewollt ist. Denn alles, was man eigentlich über ihn wissen muss, ist, dass er begehrt wird – er ist ein Objekt, und um das zu sein, reichen „gutaussehend“ (was Golding zweifelsohne ist) und „reich“ (woran der Film keinen Zweifel lässt). 

Die handlungsmächtigen und tatsächlich handelnden Figuren im Film sind ausnahmslos Frauen, sie treiben den Plot vorwärts, sie zetteln die Konflikte an und baden sie wieder aus – die Männer sind eigentlich nur Schmuck, wenn nicht gar Hintergrund. Das beste Beispiel dafür ist Nicks Vater: Er mag das Milliardenimperium aufgebaut haben, doch kommt er im Film überhaupt nicht vor.


Die Figuren

Damit sind wir bei den Figuren, und mit einem Wort: Constance Wu ist in ihrer Hauptrolle perfekt. Sie vereinbart das Selbstbewusstsein einer jungen Frau, die es zu einer renommierten Professur gebracht hat, meisterhaft mit der entwurzelten Verwundbarkeit, die sie angesichts des doppelten Kulturschocks von Tradition und Reichtum empfindet. Die eingangs erzählte Anekdote hat ihre Schwiegermutter in spe zur Sympathieträgerin für die Zuschauer gemacht: Hätte Rachel nicht die Ausstrahlung, die Wu ihr verleiht, der Film würde auf einer grundlegenden Ebene schlicht nicht funktionieren. Hollywood täte wohl daran, ihren Namen bei künftigen Castings ganz oben zu halten.

Michelle Yeoh ist, wie könnte es anders sein, ein Superstar: In jungen Jahren Miss Malaysia und im Westen als Bond-Girl und Kung-Fu-Star („Crouching Tiger, Hidden Dragon“) bekannt geworden, spielte sie eben auch „ernste“ Rollen, allen voran die Bürgerrechtsikone und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in Luc Bessons Biopic „The Lady“ – so ziemlich das für eine Asiatin, was eine Verkörperung von Nelson Mandela für einen schwarzen Schauspieler darstellt. Yeoh verleiht der Rolle der Matriarchin Eleanor eine Mischung aus Sympathie, Gravitas und Bedrohung, die mich, wie bereits angeschnitten, an Spencer Tracy in „Rat mal, wer zum Essen kommt“ erinnert (und nebenbei auch an ihre eigene Rolle als Mutterfigur und Kriegerin Captain Georgiou in „Star Trek: Discovery“). Nichts macht eine Widersacher-Figur im Film absurder, als wenn diese nur fies um der Fiesheit willen ist, doch bei Eleanor sind ihre Motivationen und Beweggründe immer manifest und ersichtlich, auch wenn ihre und Rachels Interessen einander diametral entgegengesetzt sind.

Doch die Offenbarung des Films ist eindeutig Awkwafina als Rachels beste Uni-Freundin Peik Lin. Nach ihrem starken (aber viel zu kurzen) Auftritt in „Ocean’s 8“ kann sie hier vollkommen befreit ihre komödiantischen Muskeln spielen lassen, und sie kassiert die meisten Lacher im Film – mehr noch, es stellt sich die Frage, ob ohne sie der Film dem „Komödie“-Aspekt der „romantischen Komödie“ überhaupt gerecht würde. Sie schafft es, gleichzeitig derb und einfühlsam, vulgär und mondän, witzig und tiefgründig zu sein, und ist für mich mit das Highlight des Films. Ken Jeong („Hangover“, „Community“) als ihr neureicher Vater ist wie gewohnt laut, schrill und komisch, ohne jedoch zu einer bloßen Karikatur zu verkommen.

Die Regie

John Chu gebührt großes Lob für seine Regiearbeit. Er versteht es, mit dem Tempo der Handlung umzugehen und allen Szenen das korrekte Framing zu verleihen. Die Darstellung des Reichtums ist purer „wealth porn“ und Parties sind geschnitten wie High-End-Musikvideos – knallig, bunt, rasant – während die ruhigen Momente nie langweilig werden und die Augenblicke der direkten Konfrontation zwischen den Figuren in ihrer Intensität fast schon Thriller-Qualitäten haben. Ein klimaktisches Mah-Jongg-Spiel zwischen Rachel und Eleanor etwa hat sich einiges von den klassischen Glücksspielszenen aus James Bond abgeschaut und steht diesen in Spannung kaum nach. Wie auch Kevin Kwan, der Autor der Romanvorlage, steht Chu seinen Charakteren sehr ambivalent gegenüber: Mag man als Asiate auf den wirtschaftlichen Erfolg stolz sein, so schämt man sich bei den Exzessen bisweilen ein wenig fremd. Chu ist als Regisseur geschickt genug, die Figuren so darzustellen, dass sich jeder Zuschauer seine eigene Meinung bilden kann.


Kritik

Wenn ich eine Kritik an dem Film habe, dann folgende: Es gibt jede Menge B-Plots und Nebenfiguren, die so interessant sind, dass sie sehr viel mehr Zeit verdient hätten, als es ihnen der (im Großen und Ganzen sehr schnelle) Film zugestehen kann. Insbesondere die Beziehung zwischen Nicks Cousine Astrid (Gemma Chan) und ihrem ebenfalls „unstandesgemäßen“ Ehemann Michael (Pierre Png) könnte einen eigenen Film ausfüllen: Anscheinend wird dieses Thema in der Romanvorlage tatsächlich tiefer behandelt, doch der Film schneidet vieles nur an, wobei gerade Gemma Chans Performance das meiste aus den wenigen Minuten herausholt. Ähnliches gilt auch für Sonoya Mizuno als Araminta, der Braut von Nicks bestem Freund: Ihre Hochzeit ist zwar der Grund für die Handlung, aber auch hier lässt sich mehr erahnen, als der Film preisgeben will.

Wenn die härteste Kritik an einem Film „ich hätte mehr davon gewollt“ lautet, so ist dies meist ein gutes Zeichen. Und das ist eben das essentiell Wichtige an „Crazy Rich Asians“: Der Hype, die Vorschusslorbeeren, das ganze kulturelle Gepäck wären hinfällig gewesen, hätte der Film als Film enttäuscht. Es mag sein, dass meine Brille im Kinosaal einen leicht rosaroten Stich gehabt hat, doch denke ich, dass ich so oder so weiß, was eine gute schauspielerische Leistung und was gute Regie ist. Und „Crazy Rich Asians“ ist sowohl innerhalb seines Genres eine der besten RomComs seit Nora Ephrons Glanzzeiten, als auch ein einfach guter Film. Ich kann ihn jedem uneingeschränkt empfehlen: Er ist ein super Date-Movie fürs Kino, ideal für einen Gammeltag zu Hause, und obendrein die kurzweiligste, lustigste und rührendste Einführung in die moderne asiatische Kultur.

Das Taschenbuch zum Film: “A hilarious and heartwarming New York Times bestselling novel—now a major motion picture!”