Crazy Rich Asians – „in Amerika verhungern Kinder“

Von Paul Engelhard.

Eigentlich wollte ich nur eine ganz normale Rezension schreiben, über eine lustige, farbenprächtige, aber auch nachdenkliche romantische Komödie. Das Problem ist bloß, Crazy Rich Asians ist kein ganz normaler Film, vor allem nicht für mich: Denn ich bin als Europäer koreanischer Abstammung – genauer gesagt, ein „Hapa“, eine Mischung – das direkte und explizite Zielpublikum dieses Films, und es ist nicht zu weit gegriffen, zu sagen, dass Crazy Rich Asians für Menschen wie mich ein ähnlicher kultureller Meilenstein ist wie Marvels Black Panther für Afroamerikaner – ein Film von und mit Menschen wie mir, über Menschen wie mich, für Menschen wie mich. Daher haben wir beschlossen, zwei Artikel daraus zu machen: einen über kulturellen Kontext und Bedeutung, und im Anschluss die Filmkritik selbst.


 Zum Titel Crazy (Rich) Asians 

Nun ist es zwar kein neues Phänomen, dass englischsprachige Filme mit englischen Titeln von ihrem deutschen Verleih einen neuen englischen Titel bekommen (der zumeist unnötig, idiotisch oder beides ist), doch frage ich mich, ob hier nicht weitere Faktoren im Spiel sind.

Denn: Das einzig wirklich Besondere an John Chus Verfilmung von Kevin Kwans Bestseller ist weder das „Crazy“ noch das „Rich“ – die diegetische UND die kulturelle Bedeutung dieses Filmes liegen primär in dem Wort „Asians“, das allerdings von Warner Bros. Deutschland schlicht gestrichen wurde. Ein Schelm, wer Übles dabei denkt? Oder glaubte man, niemand in Deutschland wolle einen Film über Asiaten sehen? Auch nicht die knappe halbe Million Menschen mit ostasiatischen Wurzeln, die hier leben, wie zum Beispiel ich? Wir mögen zwar nur 0,57% der Bevölkerung sein, aber die meisten von uns leben in den Großstädten, wo man die Kinos findet, in denen man diesen Film sehen kann. Die Darstellung dieses kulturellen Umfelds ist die Raison d’être des gesamten Projekts – in „My Big Fat Greek Wedding – Hochzeit auf Griechisch“ ging es eben um die kulturellen Eigenarten griechischer Einwanderer, und der De Sica/Mastroianni/Loren-Klassiker von 1964 heißt halt nicht einfach nur „Hochzeit“ sondern „Hochzeit auf Italienisch“. In jenen beiden Fällen (und vielen anderen mehr) wurde der kulturelle Signifikant beibelassen, in diesem jedoch nicht. Es hinterlässt jedenfalls ein Geschmäckle.

25 Jahre später

Dies ist umso ärgerlicher, als dass es sich bei „Crazy Rich Asians“ um den ersten Mainstream-Hollywoodfilm seit 25 Jahren handelt, der hauptsächlich mit Menschen ostasiatischer Herkunft besetzt ist (der letzte war „The Joy Luck Club – Töchter des Himmels“ aus dem Jahre 1993). Es scheint mir auch rein wirtschaftlich nicht zielführend, da „Crazy Rich Asians“ einer der erfolgreichsten Filme seines Genres der letzten zehn Jahre ist, und 39% der Kinogänger, die ihm in den USA einen Nr.-1-Start mit 25 Millionen Dollar Einspielergebnis am ersten Wochenende beschert haben, asiatischen Ursprungs waren. Aber gut, es hat noch niemand behauptet, dass Rassismus rational wäre.

Die Wichtigkeit des „Asians“

Damit kommen wir zum zweiten Punkt: Warum ist dieses „Asians“ so wichtig? Sind Geschichten, zumal so archetypische wie „Frau verliebt sich in reichen Mann“ und „Konflikte zwischen junger Frau und Schwiegermutter“, nicht universell? Was macht es für einen Unterschied, was für eine Hautfarbe die Protagonisten haben, aus welchem Kulturkreis oder Land sie kommen? Ist nicht gerade der Sinn der Komödie der, Menschen im gemeinsamen Lachen über Dinge, die jeder kennt – Liebe, Familie, Geld – zusammenzubringen?

 Als gebürtiger Seoulite, der mit knapp sieben Jahren nach Deutschland gekommen ist und seitdem in Bonn, Mailand und Chicago gelebt hat, kann ich nur eine Antwort geben: Es macht einen gewaltigen Unterschied.


Zum historischen Kontext 

Es läge mir fern, Ostasien als eine homogene, monolithische Kultur zu betrachten, doch gibt es tatsächlich viele Gemeinsamkeiten, sowohl in den kulturellen Ursprüngen, den Sprachen, wie auch in der Nachkriegsgeschichte. Und darin nimmt Singapur, der Schauplatz der Handlung, einen enorm wichtigen Platz ein: Wenn es einen Vater des modernen Asien gibt, mit seinem Turbokapitalismus, seinem Fortschrittsglauben, seiner Technikbegeisterung, so war dies Lee Kuan Yew (1923-2015), der ewige Premierminister des Stadtstaates. Binnen kürzester Zeit schaffte die ehemalige britische Kolonie, die im 2. Weltkrieg von Japan eingenommen wurde und nach der Unabhängigkeit Schauplatz blutiger ethnischer Unruhen war, unter einem schier unmenschlichen Arbeitsaufwand den Sprung von einem bettelarmen Land zu einem der führenden Handels- und Industriestaaten des Kontinents; dieser Aufstieg blieb auch in Korea nicht unbemerkt, und Präsident Park Jung-hee formte seinen eigenen Tigerstaat nach dem autoritär-wirtschaftsliberalen Beispiel Lees (wenige Jahrzehnte später folgte ihnen der einflussreichste Staatsmann der jüngeren Geschichte, Chinas Deng Xiaoping). Eine Folge dieser Entwicklung war mithin, dass gewaltige Summen von Kapital erschaffen wurden, und sich eine neue Schicht unvorstellbar reicher Menschen bildete – ebenjene „crazy rich Asians“.

Generationskämpfe

Für den Kontext des Films ist diese jüngere Geschichte von zentraler Bedeutung, weil einer der darin illustrierten Konflikte eben der Unterschied zwischen der Generation der Eltern und Großeltern und der ihrer Erben ist: Während erstere noch Weltkrieg, Fremdbesatzung und Armut am eigenen Leibe mitbekommen hatten, so kennen die jungen Tiger nur Überfluss und Hedonismus – eine Szene im Film zeigt Kleinkinder auf ihren Elektroautos, die den McLarens und Lamborghinis nachempfunden sind, mit denen ihre älteren Geschwister vom Privatflugplatz zur Nobeldisko fahren (kurze Parenthese: Ein Auto, das hierzulande 30.000 € kostet, kostet nach Einfuhrzöllen, Lizenzen und Steuern in Singapur etwa 160.000 € – die Arithmetik, die demzufolge für einen 300.000 €-Ferrari gilt, sei dem Leser überlassen). Die ältere Generation ist so traditionsbewusst, dass sogar Milliardärinnen noch Maultaschen von Hand machen; die jüngeren wissen nicht, wohin mit ihrem Geld, die Ohrringe kosten siebenstellige Summen, im Kofferraum des Supersportwagens liegen drei Balenciaga-Outfits für jede Gelegenheit – „wir sind ja schließlich keine Barbaren“. Darin liegt natürlich ein immenses Konfliktpotential: Die älteren nehmen den jungen ihr leichtes Leben übel, während die jüngeren die Schuldgefühle satt haben, die ihre Eltern und Großeltern ihnen auferlegen. Es ist ein Klischee, dass es nur drei Karrieren für junge Asiaten gibt – Jura, Medizin oder Enttäuschung – aber es ist halt auch wahr, dass drei der Schauspieler in Crazy Rich Asians Jura studiert haben. Der Leistungsdruck ist riesig, und gerade die wohlhabenden unter den jüngeren verstehen nicht so ganz, warum – schließlich zwingt niemand eine Paris Hilton, ein BWL-Studium in Oxford abzuschließen. Dieser Druck manifestiert sich innerhalb der Story auch darin, dass die Familie des Milliardenerben Nick seine romantische Liebe zu Rachel als westliche Träumerei ansieht, als hormongesteuert, oberflächlich, nicht der Familie verpflichtet.

Tragische Geschichten und entbehrungsreiche Immigrationsschicksale

Darum ist das asiatische Setting so wichtig: Liegt die Industrialisierung Europas 200 und die Nordamerikas 150 Jahre zurück, so fällt diese „Gründerzeit“, die Bildung des bürgerlichen Geldadels in den Tigerstaaten also, ziemlich exakt zwischen meine Generation und die meiner Mutter – für viele Asiaten zwischen 30 und 50 ist dieser Generationenkonflikt einer der essentiellen Angelpunkte ihres Lebens, also ein aktuelles Thema, im Gegensatz etwa zu den Buddenbrooks (bei denen es ja auch um Generationenkonflikte innerhalb einer Patrizierfamilie in einer reichen Hafenstadt geht). Dazu mischt sich dieses typisch asiatische Amalgam aus Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitskomplexen, das neureiche Gesellschaft genauso peinigt wie Individuen: Hat man sich einerseits von den tragischen Geschichten entbehrungsreicher Immigrationsschicksale (wie etwa der eingangs erwähnte Joy Luck Club) emanzipiert, so ahnt man allerdings auch, dass man trotz des größeren Reichtums (ein Vater ermahnt seine Kinder, sie sollen gefälligst aufessen, in Amerika würden schließlich Kinder verhungern) noch nicht auf Augenhöhe mit dem Westen gesehen wird – in einer Szene wird darüber gejammert, dass das Porträt der Familie „nur“ in der chinesischen Vogue erscheine, und nicht etwa in der Pariser oder New Yorker Ausgabe.

 Plötzlich sehen im Kino alle so aus wie du 

Darüber hinaus ist es ja auch so, dass es zwar somatische und physiognomische Unterschiede zwischen Chinesen, Koreanern, Japanern etc. gibt, diese jedoch durchaus geringer ausfallen als die zwischen Schweden und Spaniern. Nein, wir sehen nicht alle gleich aus, und ich kann in acht von zehn Fällen erkennen, wenn jemand Koreaner ist, aber selbst ich, der ich Hapa bin (mein Vater war blond und kam aus Hamburg), sehe einem Singapur-Chinesen ungleich ähnlicher als einem gebürtigen Thüringer. Was hat das mit dem Film zu tun? Nun, es war das erste Mal, dass ich im Westen in einem Kinosaal saß und eine Handlung verfolgte, in der alle beteiligten so aussahen wie ich, inmitten von Kinobesuchern, die ebenfalls so aussahen wie ich. Wenn man sein ganzes Leben medial im Überfluss repräsentiert wurde, ist es schwer, sich vorzustellen, was das bedeutet, aber gerade als asiatischer Mann wurde man doch gerne von westlichen Medien zu einer Karikatur abgestempelt – es gibt den weisen Alten und die asexuelle Witzfigur, aber dazwischen relativ wenig, man denke an Long Duk Dong in John Hughes’ Sixteen Candles (der deutsche Titel ist so dämlich, dass ich euch damit verschone), Han in 2 Broke Girls oder Mr. Chow in Hangover; oder, noch schlimmer, diese grotesken Stereotypen werden dann auch noch von weißen Schauspielern gespielt, siehe etwa Mickey Rooneys Rolle in Frühstück bei Tiffany. Während asiatische Frauen seit jeher Objekte fetischartiger Begierde von weißen Männern sind, wurde der Gedanke, dass asiatische Männer sexy, begehrenswert, attraktiv sein können, von Hollywood jahrzehntelang schlicht abgelehnt. Wenn man also als asiatischer Mann ständig mit diesen Bildern konfrontiert wird, fängt man an zu glauben, dass der Westen einen auch tatsächlich so sieht, und das kann Folgen für das Selbstwertgefühl haben. Dabei geht es uns noch gut: Hollywood hat jahrzehntelang Afroamerikaner mehr oder minder nur als Drogendealer und Gangmitglieder dargestellt, und diese Stereotypen haben zum Beispiel in puncto Polizeibrutalität bis heute verheerende Folgen.

Hässliche Männer, sexy Männer – endlich Abwechslung

Aber zurück zum Film: In Crazy Rich Asians gibt es attraktive asiatische Männer, hässliche asiatische Männer, besonnene asiatische Männer, dumme asiatische Männer, schwule asiatische Männer… also die komplette Bandbreite und eben nicht nur lächerliche Stereotypen, und ich kann kaum beschreiben, wie glücklich mich das gemacht hat. Und die Bedeutung dessen liegt darin, dass wir alle Medien konsumieren, um uns darin wiederzufinden; allein, Asiaten, die im Westen leben, hatten diese Identifikationsfiguren nicht. Bis zu diesem Film. Ich rede auch ganz bewusst und explizit von Asiaten im Westen, denn natürlich haben Hongkong, das Festland, Korea, Japan, Taiwan etc. ihre eigenen, teils sehr erfolgreichen Film- und Fernsehindustrien; K-Pop ist mittlerweile ein globales Phänomen, Ken Watanabe, Lee Byung-hun und Jet Li spielen in großen westlichen Kinofilmen mit, und das Film- und Serienangebot an asiatischen Produktionen auf Netflix ist kaum noch zu überblicken. Die Hauptfigur im Film ist jedoch Rachel, die in den USA aufgewachsen ist; Geschichten wie ihre wurden leider bis jetzt viel zu wenig erzählt, denn das Schicksal von solchen Menschen ist, dass sie zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kulturen stehen – in einer Szene wird sie von einer Freundin als „Banane“ bezeichnet: „außen gelb, aber innen weiß“, etwas, das jeder in Westen aufgewachsene Asiate nachvollziehen kann, wenn er die alte Heimat besucht und sich dort ein wenig fremd fühlt. So etwas auf einer Leinwand in Bad Godesberg zu sehen, hat mich tief berührt.

Dies ist auch der Grund, warum Regisseur John Chu ein höchst lukratives Angebot von Netflix ablehnte und darauf bestand, dass der Film in die Kinos kam, auch wenn diese Entscheidung mit großen Risiken verbunden war – Chu wollte genau dieses Gemeinschaftsgefühl herstellen, das nun einmal im Kino besser herzustellen ist als im Wohnzimmer. Es war, wie die Einspielergebnisse und die enthusiastischen Reaktionen bestätigen, die richtige Entscheidung – ebenso wie die Entscheidung, den Film mit allen möglichen Asiaten zu besetzen und nicht nur Chinesen, denn man merkt sehr deutlich, dass dieser Film allen Asiaten gewidmet ist, selbst Hapas wie mir, schließlich wurde die männliche Hauptrolle mit Henry Golding besetzt, der selbst einen britischen Vater hat (was nicht ganz unkontrovers war).

Ich hoffe, ich konnte hiermit einen brauchbaren Abriss des Kontexts geben, indem sowohl die Handlung des Films als auch der Film selbst eingebettet sind. Es folgt die Rezension.

 

 

Vor dem Film waren die Bücher – Interessenten können hier die Box vorbestellen, sie erscheint am 23. Oktober.